Erinnerung an die Novemberpogrome von 1938 in Nienburg
Am 9. November 2024 fand vor dem Nienburger Rathaus die jährliche Gedenkveranstaltung anlässlich der Novemberpogrome von 1938 statt. Etwa 50 Menschen waren dem Aufruf des Arbeitskreises Gedenken gefolgt und hatten sich versammelt, um vor der Gedenktafel denTausenden Jüdinnen und Juden zu gedenken, die durch den nationalsozialistischen Terror gestorben sind.
Thomas Gatter vom Arbeitskreis Gedenken führte in seiner Eröffnungsrede an, wie wichtig es sei, die Erinnerungen an die nationalsozialistische Gewaltherrschaft nicht verblassen zu lassen. Gerade nun, wo die Zahl der verbliebenen Zeitzeugen immer weniger werde, müsse man einen Weg finden, weiter mahnende, aber nicht verurteilende Worte an die heutigen Generationen zu richten.
Auch die Polizeiakademie Nienburg beteiligte sich an der Veranstaltung: Polizeikommissaranwärter Marcello Totzek schilderte seine Eindrücke, die er und seine Mitstudierenden im Rahmen einer Studienreise nach Polen zu den Gedenkstätten des ehemaligen Ghetto Litzmannstadt und das Vernichtungslager Kulmhof sammeln konnten. Der Gedanke, dass viele der damaligen Täter auch junge Polizisten wie er gewesen seien, lasse ihn nicht mehr los. So seien Polizeibeamte damals sicherlich auch einst in den Dienst eingetreten, um anderen Menschen Hilfe zu leisten und ein friedliches Miteinander zu gewährleisten. Dennoch verwandelten viele von ihnen sich durch ihren Dienst in den Erschießungskommandos und Vernichtungslagern binnen weniger Jahre bereitwillig zu Massenmördern.
Als Polizist habe man eine besondere Verantwortung gegenüber seinen Mitbürgerinnen und Mitbürgern und müsse daher immer wachsam bleiben und auch das eigene Verhalten immer wieder überprüfen, damit sich solche Ereignisse niemals wiederholen. Gerade in Zeiten, in denen wieder vermehrt antisemitische Angriffe auf jüdische Einrichtungen stattfinden würden, zeige sich, wie wichtig es sei, unsere Demokratie vor feindlichen Kräften zu schützen. Thomas Gatter dankte dem angehenden Polizeikommissar für seinen Bericht und gab seine Freude über die Zusammenarbeit mit der Polizeiakademie – auch bei künftigen Veranstaltungen – Ausdruck.
Nach einer anschließenden Blumenniederlegung an der Gedenktafel fand im Rathaus die Verleihung des Elisabeth-Weinberg-Preises durch den Landrat Detlev Kohlmeier statt. Mit dem Preis werden Jugendliche ausgezeichnet, die sich für ein gleichberechtigtes Zusammenleben und gegen Antisemitismus, Antiziganismus, Rassismus und Diskriminierung engagieren. In diesem Jahr konnten Schülerinnen und Schüler der Klasse 7d der Marion-Blumenthal-Oberschule aus Hoya den Wettbewerb für sich entscheiden. In Zusammenarbeit mit der Museumsdruckerei Hoya „Zwiebelfisch“ e.V. haben sie das Bilderbuch „Marions Kieselsteine“ über das Leben der aus Hoya stammenden Jüdin Marion Blumenthal in der Druckerei an historischen Maschinen erstellt.
Im Alter von vier Jahren flüchtete Marion Blumenthal mit ihrer Familie aus Hoya vor den Nationalsozialisten nach Holland und wurde von dort ins Konzentrationslager Bergen-Belsen verschleppt. Sie überlebte und lebt heute in New York und hält in vielen Ländern Vorträge, bei denen sie für Toleranz und Versöhnung wirbt. Musikalisch begleitet wurde die Veranstaltung durch das Chorensemble der ASS und das Nienburger Klarinettenquartett, die eindrucksvoll Dylan-Songs, israelische Traditionals und jiddische Weisen, darboten.
Um die Schwere des Anlasses zu verarbeiten, konnten Gäste und Veranstalter bei einer kleinen Stärkung und im Rahmen von Gesprächen
den Abend ausklingen lassen.
Autor: Marcello Totzek