Ein Tag im Leben einer Kriminalbeamtin – Geschichten, die das Leben schrieb – Lustiges, Ernstes + Blödsinn aus 16 Jahren

07.06.2016 | Kategorien: PoliZeitGeschichten
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Autorin: Annerose R. Windeler

Was dieses Buch eigentlich soll

Diese Geschichten sind „gesammelte Werke“ entstanden über viele Jahre hinweg. Es sind Schusselgeschichten, wahre Geschichten und Phantasiegeschichten. Immer aber habe ich mich dabei in einem Zustand von Übermut befunden und Gefühle und Erlebnisse auf diese Art heraus lassen tnüssen. Nehmt euch von diesen Geschichten, was euch gefällt und betrachtet das Ganze mit einem Augenzwinkern.
Ich bedanke mich ausdrücklich bei meinen Familienangehörigen, Kollegen und den anderen Personen aus meinem Polizeialltag, die für diese Geschichten „herhalten“ mussten.

Gerne habe ich die Geschichten illustriert. Bis auf wenige Ausnahmen handelt es sich um eigene Zeichnungen und Fotos.

Selbstportrait - Annerose R. Windeler
Selbstportrait – Annerose R. Windeler

Ein Tag im Leben einer ganz normalen Kriminalbeamtin

Der Wecker klingelt … oh je … ist ist 7.10 Uhr. Um 7.30 Uhr soll ich dort sein und ich muss noch 10 Minuten fahren. Nun aber schnell. Mindestens 3mal muss ich den Wecker ausgestellt haben, und nicht nur aus, sondern auch ein Stück näher zu mir her transportiert haben. Es ist ein Phänomen, dass ich doch immer noch gerade rechtzeitig aufwache. Was ziehe ich an? Man gut, dass ich mir das gestern Abend schon überlegt habe und die Sachen jetzt mundgerecht hier liegen. Anziehen, ein Blick auf meinen schlafenden Mann im Nebenbett und ab in die Küche.

Die abends programmierte Kaffeemaschine hat ihren Auftrag erfüllt. Ich habe weder Kaffee noch Wasser vergessen und auch die Zeit richtig eingestellt sowie den Knopf auf die richtige Einstellstufe gedreht. Das ist durchaus nicht immer der Fall. Nun, es hat geklappt… ich gieße mir den dampfenden Kaffee ein, öffne den Kühlschrank und greife zur Milch… leer… Ich verfluche ihn.
Schnell in den Vorratsraum, Milch her, Milch auf, Milch rein, schnell trinken. Tasche her und los. Den restlichen Kaffee kann ich nun nicht mehr in seine Thermoskanne gießen für ihn, keine Zeit mehr, das hat er nun davon. Die Katzen miauen … soll’n sie doch ihre Brekkies fressen, die liegen da ja noch.

Draußen ist es dunkel. Mit der Taschenlampe bahne ich mir den Weg bis hin zur Garage. Wir wohnen auf einem Bauernhof, in einem alten Niedersachsenhaus. Straßenbeleuchtung gibt es hier nicht.
Auto auf, Sitz einstellen, „er“ ist gestern zuletzt gefahren. Radio an .. .“ es ist 7.21 Uhr“ … losfahren, rückwärts … warum geht denn bloß dieser blöde Rückwärtsgang nicht so wie ich will??? Und los geht’s. Ich fühle mich müde, unausgeschlafen, die Augenlider sind geschwollen, die Knautscher vom Bettzeug lassen Sich auf der rechten Wange deutlich fühlen. Ich versuche, sie gerade zu zerren und hoffe, dass sie niemand bemerken wird.

Um 7.30 Uhr fahre ich auf den Hof. Soll mal einer was sagen… der Dienst beginnt mit dem Einrücken auf dem Grundstück – steht irgendwo, hab ich mal gelesen. Parkplatz suchen. Die Plätze sind begrenzt, das heißt, es gibt noch EINEN, den will keiner, unter einem Baum. Auf diesem Baum sitzen gerne Tauben. Auch ich soll da nicht parken, mein Mann schimpft sonst. Und nun? Kann ich auch nicht ändern.

Ich nehme meine Tasche, verschließe den Wagen und tausche meine Feierabend/ Freizeitschlüssel gegen das Dienst-Schlüsselbund aus. Daran hängen der Dienststellen – Hintereingangstür – Schlüssel, die Schlüssel für mein Stahlfach und den Holzschrank im Nebengebäude, in dem sich meine grünen Hundertschaftsklamotten befinden. Außerdem habe ich meine Dienstmarke daran befestigt. Mit einem Karabinerhaken begleitet mich dieses Schlüsselbund durch den Arbeitstag, eingehängt an Gürtelschlaufe rechts. Ich habe meistens eine Gürtelschlaufe, weil ich meistens, eigentlich immer, eine Hose trage. Meine Kollegen wünschen sich gelegentlich mal eine „richtige“ Kollegin mit Rock. Doch das bleiben die Wünsche einzelner Kollegen. Die polizeipraktische Bekleidung gilt auch für Frauen: Hose, flache geschlossene Schuhe, Jacke mit möglichst großen Taschen (für Merkbuch und so) und vielleicht auch mit Kapuze, denn man weiß ja nie, wohin man muss, wie lange man vielleicht irgendwo draußen stehen muss und bei welchem Wetter.

Ich schließe die Tür auf, gehe in die Wache und begrüße die dortigen Kollegen, sowie diejenige, die mir in der nächsten Zeit die Gespräche vermitteln wird. Dann quäle ich
mich schweren Schrittes die Treppe ins erste Obergeschoss hinaus. An den Wänden hängen bunte Bilder, gemalt von mir. Ich kann mich schwach n das Glücksgefühl erinnern, das sich einstellt, wenn ein solches Werk fertig ist.Ich hatte es schon lange nicht mehr.

Im Moment ist alles im Umbruch. Das Kennenlernen meines Mannes und die privaten Veränderungen hierzu sowie die Polizei reform mit ihren Folgen in meiner Arbeit haben mich irgendwie aus der Bahn geworfen.
Ich bin gerade wieder vier Tage im Dienst, nachdem ich fast fünf Wochen nicht mehr in diesem Gebäude war. Die Falten in meinem Gesicht haben sich sichtbar geglättet, meine vibrierenden Nerven höben sich beruhigt. Ich habe mir – wie schon öfter ernsthaft vorgenommen, mich nicht mehr von der Unruhe in diesem Arbeitsbereich anstecken zu lassen. Ob das wohl gelingen wird? Ich muss eine andere Einstellung zum Beruf gewinnen, sonst werde ich krank.Vor dem Urlaub habe ich mich bereits ernsthaft auf eine andere Stelle beworben und sie mir zusammen mit meinem Mann angesehen.
Verschiedene Umstände sprachen schließlich dagegen und das ist auch o.k. So,
jedenfalls zum derzeitigen Zeitpunkt. Doch das letzte Wort war es noch nicht. Auch
der Gedanke an eine 30-Std.-Woche ist noch nicht ausdiskutiert.

Mein Schlüssel öffnet das passende Stahlfach, in dem ich meine Waffe, die Kaffeekasse und meine Tasche aufbewahre. Meine Tasche verstaue ich dort drin, weil mir in der vergangenen zeit zweimal Geld abhanden gekommen ist. Ich habe mir fast selber nicht geglaubt, aber es muss so gewesen sein. Seitdem ist jedenfalls Ruhe und meine Vorstellungen über die Geldsumme in meinem Portemonnaie stimmen wieder mit der Wirklichkeit überein.

Es ist 7.35 Uhr. Ich begrüße meine Kollegen, die allesamt in Ordnung sind. Einer fehlt noch – der Spätdienst deckt die Zeit zwischen 16 und 19 Uhr ab und kommt deswegen später.
Zur zeit sind wir in diesem Ermittlungsbereich 10 Beamte, zusammengewürfelt aus Schutz- und Kriminalpolizei, etwa ab 30 aufwärts. Der Altersdurchschnitt dürfte sich bei 40/45 einpendeln. Dementsprechend zeigen die Haare bereits etwas grau oder lichten sich an den vererbten Stellen.

Unsere Arbeit umfasst großenteils die Aufnahme und die Bearbeitung aller Anzeigen der Bürger – soweit sie nicht Verkehrsdelikte betreffen. Das sind in unserem Zuständigkeitsbereich überwiegend Einbrüche oder Diebstähle jeglicher Art. Körperverletzungen, Vermisste, kleinere Brände, Betrügereien, Spurensicherung, Erkennungsdienst und manchmal auch noch anderes. Eben das, was man als Bürger so anzeigen will (Mir ham‘ se … ).

Und dann gibt’s da noch meine VerTraute (Traute) , die, die mir am meisten fehlt, wenn sie nicht da ist. Unsere Angestellte und gleichzeitig meine Freundin. Wir Frauen müssen zusammenhalten. Das ist in diesem Männerhaufen überlebenswichtig. Und wir stellen immer wieder fest, die Probleme sind in allen Altersklassen dieselben …. das beruhigt.

Ich nehme meine Protest-Tasse mit dem Emblem des „BdK“ = Bund Deutscher Kriminalbeamter, als Gegenstück zur HGdP“ = Gewerkschaft der Polizei und hole mir vom Kaffee, den der Frühdienst bereits aufges.et.zt hat. Das ist eigentlich die wichtigste Aufgabe des Frühdienstes. Es gibt selten einen Grund, weshalb bereits eine halbe Stunde vor der üblichen Zeit jemand da sein müßte. Der Kaffee ist gut, obwohl immer irgendjemand an der Maschine – egal welche gerade aktuell ist – etwas zu verbessern hätte.

8 Uhr, Frühbesprechung. Wir, alle die da sind, versammeln uns, um uns über den gestrigen Tag und das Neueste auszutauschen. Das ist nicht immer gerade viel. Und auch nicht immer interessant, eben auch Alltag.

Manchmal gibt es so hübsche Neuigkeiten wie:

  • Es wird aus gegebenem Anlass nochmals darauf hingewiesen, dass alle Schutzpolizeibeamten ihre Uniform anzuziehen haben. Es wird mehr sichtbare Polizei auf der Straße gewünscht.
  • Unter den Beamten scheint sich eine Unruhe breit gemacht zu haben, dies sollte doch unterlassen werden.
  • Es ist bekannt geworden, dass einige Dienstzweige soviel Zeit übrig haben, dass sie eine halbe Stunde lang die Jahres-Urlaubsplanung machen können.

Das Aufregendste heute war eine Dreiviertelseite in der örtlichen Presse über eine Schlägerei in der Neujahrsnacht zwischen einer Gruppe deutscher und einer Gruppe deutsch-russischer Jugendlicher. Wir erfahren, dass endlich extra zwei Beamte eingesetzt werden, die sich nur damit befassen werden. Es sind zwei Beamte aus der Schicht, die in ziviler (!) Kleidung für 4 Wochen ermitteln sollen. Wir stellen fest, dass wir zwar die Sachbearbeitung haben, uns aber niemand fragt.

… Ich wollte mich doch nicht mehr aufregen, nein nein, nein .. wahrscheinlich müssen wir noch die Schicht verstärken, aus der diese beiden extrahiert wurden…

Mir persönlich geht das Adrenalin deswegen hoch, weil jetzt der „Bahnhof“ gefahren wird, nur weil sich ein angesehener Bürger beschwert hat, dass polizeilicherseits nichts getan wird… zwei seiner Söhne waren in die Schlägerei verwickelt. Als vor einiger Zeit einem jungen Ausländer völlig grundlos von einem Fremden mit einer Flasche das Augenlicht zerstört wurde oder innerhalb einer Auseinandersetzung zweier deutsch-russischer Gruppierungen ein junger Mann an einem Messerstich fast gestorben wäre… Da wurde nichts verstärkt, trotz der schweren Tat und den lebensgefährlichen Verletzungen. Aber da hatte sich ja auch niemand beschwert.

Die Tür geht auf, der Kaffee-Aufsetzer der derzeitigen Schicht guckt, stutzt, kommt zögernd rein. Kurze Zeit später folgen weitere frechere und fordern mit lauten Stimmen ihre Plätze ein.
Wir gehen in unsere Zimmer.

Die eigentliche Arbeit kann losgehen. Es ist 8.30 Uhr. Ich wühle auf meinem Schreibtisch herum. Glüc~ gehabt. In der Zeit meines Urlaubs ist für mich kaum etwas liegen geblieben. Das kann auch anders sein. Die Kollegen haben sehr viele Ladendiebstähle zu bearbeiten gehabt. Für den Diebstahl einer Packung Kaugummi oder ein paar Haarnadeln wird relativ viel Polizei beschäftigt.

In jedem Fall gibt es einen Täter und der hat das recht, dazu auch seine Meinung zu sagen, wenn er will. Ansonsten würde ja die Aussage des Diebstahls-Zeugen allein dastehen.Und wenn es Täter gibt, müssen alle möglichen Formulare ausgefüllt werden. Ich habe eine neue Kopie in meine Sammlung bekommen, eine Aussage über einen Diebstahl „ich sah, wie der Mann seine Frau deckte … “ Das freut einen doch.

Herrje, die Akte kenne ich doch. Ich kriege sie zum x-ten Mal von der Staatsanwaltschaft zurück, so eine Familienkiste. Mutter ist gestorben und die Erben streiten sich um einen alten Daimler. Es ist nicht zu fassen. Die Geschwister sind untereinander und mit Vater zerstritten und scheißen sich gegenseitig an. Und ich soll nun klären, wer da was gemacht hat und wer die Wahrheit sagt und wer nicht. Ich leg die Akte zur Seite. Da hab ich jetzt keine Lust zu. Außerdem muss ich mir erstmal eine Aufstellung machen, wer wann was gesagt hat und was ich überhaupt noch wissen will.

Da nehm‘ ich doch lieber erstmal was kurzes, einfaches, ein Fingerspurenergebnis. Das gehört zu einem Diebstahl aus einem Wohnhaus. Ein Fenster wurde offen stehend vorgefunden, ohne Aufbruchspuren. Und ein Blumentopf samt Blume stand woanders. Die Fingerabdrücke auf diesem Blumentopf waren so gut, dass sie mit denen der Hausbewohner abgeglichen werden mussten. Hier das Ergebnis: Es waren die Spuren der guten Hausfrau. Das bedeutet, dass es nun überhaupt keinen Anhaltspunkt mehr dafür gibt, dass ein Fremder im Haus war. Ich rufe die Versicherung an, der Sachbearbeiter wartete auf eine Nachricht. Es liegt hier auch beim allerbesten Willen kein schwerer Diebstahl im Sinne der Versicherung vor. Die Geschädigten werden keine Geld bekommen. Das ist in diesem Fall auch nicht so schlimm. Die Leute sind reich, für die ist der Schaden von 10.00 DM soviel wie für eine Oma mit Rente 100 DM wert sind.

Ein Kollege kommt rein. Er trägt ein Stück Plastik mit sich herum und sucht jemanden, der eine Spurensuche daran macht. Wir üben es gemeinsam. Es handelt Sich um ein Stück Lenksäulenabdeckung, das beim Autoklauen abgerissen wird. Pech für die Polizei, Glück für den Täter. Man sieht zwar, dass jemand gegriffen hat, aber ein Stück Papillarlinienmuster ist beim besten Willen nicht da. Ich zerknülle vorsichtig das untergelegte Zeitungspapier und wasche mir meine schwarzgepulverten Hände.
Soviel hierzu.

Mein Chef kommt rein und trägt triumphierend zwei ineinander verkeilte dicke Akten auf mich zu … Guck mal, da ist sie schon wieder …. ich steige gar nicht durch, was die jetzt wissen wollen …. “ Ich auch nicht gleich. Während mein Kollege, mit dem ich das Zimmer teile, unseren einzigen Schreibcomputer quält, versuche ich, die Akte zu entwirren.

Diese Akte ist eigentlich sehr interessant. Begonnen hat sie ähnlich wie diese Mercedes-Streit-Sache. Ein älterer Herr bombardierte mit zahlreichen und ausführlichen Briefen die Behörden, und alle, die ihm seiner Meinung nach etwas angetan hatten.

Nach einem Urteil vor dem Zivilgericht fing er jedoch wieder an und behauptete, die Frau hätte vor Gericht eine Falschaussage gemacht und zwar hätte sie wahrheitswidrig behauptet, nicht mit ihm in ehe-ähnlicher Gemeinschaft gelebt zu haben. FALSCHAUSSAGE, das geht ja nun doch nicht… Durch diese Anzeige kam ich mit der Frau in Kontakt. Nach einem kurzen Gespräch am Telefon wurde klar, dass diese Sache nicht so kurz abgetan werden konnte. Es steckte eine Lebensgeschichte dahinter:

Die Frau, Mitte Vierzig, hatte in der ehemaligen DDR eine leitende Funktion in einem Hotel-Komplex. In dieser Funktion lernte sie einen wesentlich älteren Herrn kennen, der alle Kompetenzen des westlichen Marketing zu haben schien. Er zeigte ihr die Möglichkeiten auf, im Westen ein kleines Hotel nach ihren Vorstellungen führen zu können. In dieser Zeit brach in ihrem persönlichen Bereich gerade alles zusammen. Sie trennte sich von ihrem Mann wegen dessen massiver Alkoholprobleme, hielt aber von der ferne her zu ihm. Gleichzeitig stand der Verkauf des Hotelkomplexes, in dem sie arbeitete, zum Verkauf an, womit sie auch ihre Arbeit verlieren würde. In dieser persönlichen Situation nahm sie die Hilfe der Vatergestalt an, sah ihre Zukunft in seinem Angebot. Sie ließ alles hinter sich und folgte ihm in den Westen. Er besaß ein großes Haus mit Sauna und Pool und diversen Zimmern. Sie glaubte an ihn. Er hatte ihr Baupläne gezeigt und sogar eine Architektin war da und machte Vorschläge. Aber: die Banken gaben ihm keine Kredite. Sie nahm sie für ihn auf, damit ihr Wunsch auch in Erfüllung gehen konnte.

Eines Tages erhielt sie einen Brief. In diesem stand, dass dieses Haus samt ihrer Wohnung und der neuen Einbauküche (I) versteigert wurde und der neue Besitzer nun bald einziehen will. Eine Welt brach zusammen. Sie begriff, dass sie die ganze Zeit ausgenommen wurde. 70.000 DM hatte sie insgesamt für ihn und ihr gemeinsames Ziel aufgenommen.
Ab jetzt ging sie ihren eigenen Weg.

Erst jetzt, 4 Jahre später, durch die Anzeige dieses Mannes gegen sie, wurde der ganze Umfang der Geschichte amtlich bekannt. Mit geringem Aufwand konnte dem Mann nachgewiesen werden, dass seine Anzeige gegen sie falsch war Er hatte damals vor dem Sozialamt eigens handschriftlich bestätigt, dass sie keine ehe-ähnliche Gemeinschaft haben. Dies konnte zusätzlich von diversen Zeugen belegt werden.
Mit Hilfe der Aussage der Frau und ihren detaillierten Aufzeichnungen ließ sich mit etwas Mühe nachweisen, dass der Mann damals einen Bauvorantrag für ein Hotel gestellt hatte. Dieser Antrag samt Bauzeichnung überzeugte sie damals, in den Westen zu gehen. 6 Wochen nach AntragsteIlung zog er diesen zurück und ließ sie ab diesem Zeitpunkt in dem Glauben, ihr Ziel sei greifbar nahe.

Die jetzige amtliche Anzeige gegen ihn wegen Betruges gibt ihr zwar das Geld nicht zurück, ist aber vielleicht irgendwo ein Stück Rehabilitation für sie.

Er ist inzwischen pleite und Sozialhilfeempfänger.

Was wollte die Staatsanwältin denn jetzt noch in dieser Sache…. VERJÄHRUNG???
Sie schreibt „wenn die letzte Vermögensverfügung aufgrund der Täuschung 5 Jahre
her ist, dann ist die Sache verjährt.“

Ich blättere die Akte durch, hin und her, vor und zurück, nein, das kann nicht sein, nicht verjährt, nicht dies … und ich finde was. Gottseidank, da ist der Kreditvertrag. Begonnen 1993, letzte Rate 1997. Na also, noch ewig nicht verjährt, puhh. Ich rufe die Frau vorsichtshalber an, damit ich der Staatsanwältin nichts Falsches antworte.

Sie klingt glücklich und kraftvoll am anderen Ende des Telefons. Alles nimmt einen guten Verlauf. Ihr Mann, mit dem sie schon länger wieder zusammen ist, hält dem Alkohol stand und hat seit kurzem sogar wieder Arbeit in seinem Lieblingsberuf. Ihre gemeinsame Tochter hat gerade bei einer Tombola ein Auto gewonnen und macht jetzt den Führerschein. Und sie selbst hat wieder ein eigenes Pferd.

Wie gut, dass sie damals, als sie sich erhängen wollte, in der letzten Sekunde gerettet wurde!

Und ich bin froh, dass ich genug Zeit gefunden habe, um diesem Betrüger seine Taten hoffentlich nachweisen zu können.

Mein Bauch knurrt. Irgendwo muss noch ein Stück Schokolade sein. Schade, nur ein Riegel. Reicht nicht ganz. Aber heute habe ich ja was mit, etwas Selbstgekochtes: Wirsing mit Möhren, Körner, Sahne, Käse. Im Kühlschrank steht‘ s. Ich renne in den Aufenthaltsraum zum Kühlschrank.

Meine Telefon klingelt. Ich renne zurück. Am Telefon ein Kollege. Ein anderer Kollege hat über Funk mitteilen lassen, dass ich eben herkommen soll, sie wären jetzt da. Ich weiß, was gemeint ist. Meine Kollegen führen eine Wohnungsdurchsuchung durch. Ich wollte daran teilnehmen, weil ich mir vorstellen könnte, dass bei denen vielleicht das Diebesgut aus einem Wohnungseinbruch zu finden wäre.

Ich suche einen Dienstwagen. Keiner da. Vielleicht einen Streifenwagen? Lieber nicht. Wenn ich in zivil allein da drin sitze, können die Leute mit mir nicht viel anfangen, und ich fühle mich ebenfalls hilflos, falls man „richtige“ Polizei erwartet – und dann steige ich aus.

Wenn man Streifenwagen fährt, dann schleichen alle anderen vor einem her, und selbst muss man auch immer vernünftig fahren, und außerdem grüßen dauernd vorsichtshalber irgendwelche Leute …
Ich nehme meinen eigenen Wagen!

Die Kollegen sind schon fertig mit durchsuchen. Die jungen Leute, bei denen wir sind, sind arme Schweine. Mit den Eltern überworfen, zu Hause abgehauen, immer wieder stehlend, kein richtiges Zu Hause, haben sie jetzt ein Zimmer zu zweit, sich liebend, sie schwanger, gerade 18. Im Zimmer eine Matratze auf dem Fußboden, schmutzige Bekleidung daneben und ein altes Radio.
Ich bin überzeugt, die waren es nicht, sonst hätten sie davon irgendwas behalten. Bei dem Einbruch fehlten sämtliche Haushaltsgegenstände , die man in der Steckdose anschließen kann und noch mehr.
Es ist 13.30 Uhr, als ich zurückkomme. Jetzt aber – ich habe Hunger… Die Mikrowelle macht „ping“, das Essen ist fertig. Dazu einen leckeren Grüntee, Ich sitze allein in dem ungemütlich großen Aufenthaltsraum mit Küchenzeile. Wie wohl überall bei Polizei’n üblich, sind die Schränke der verschiedenen Schichten abgeschlossen. Bei uns sieht das so aus, dass jeweils zwei Oberschrank-Türen zusammengeschlossen sind, indem eine dicke Kette durch die Türgriffe gezogen wurde und mit Vorhangschloß versehen ist. An der Seite stehen die verschiedenen Müllbehältnisse:
ein brauner Eimer für Bio-Müll (z.B.Kaffeefilter), eine gelber Sack (z.B. für Fertigmenüschalen und Tetrapacks) und ein blauer für den Restmüll. Üblicherweise schwimmen vor dem braunen Eimer kleine schwarze Kaffeeflöhe in braunen Minitümpeln. Es ist eben schwierig, den Deckel zu heben und das Loch zu treffen, ohne
dass was rausfällt.

An der anderen Wand neben’der Spüle hängen etwa 5-8 Küchentücher, die meisten in dunklem blau kariert. Das ist auch besser so, denn Abtrocknen möchte man hiermit keine weiße Tasse.
Gerade noch erkennbar ist der Schriftzug „Bezirksregierung …“

Die Wand ist vollgestopft mit Trophäen der männlichen Kraft und Ausdauer. Regale voll glänzender und immer wieder größerer und schönerer Pokale… l. Sieger, 2. Sieger, 7. Sieger, alles Sieger. Daneben gerahmte Fotos, auf denen ich Kollegen in ihren besseren Jahren erkennen, kaum aktuelle Fotos dabei. Es kommen eben wenig junge Beamte nach.

Der Tisch, an dem ich sitze, ist groß und achteckig. Das Loch in der Mitte ist ebenfalls mit einem passenden Tisch gefüllt, wodurch eine unüberwindlich große Fläche bis zum anderen Ende vorhanden ist. Auf den Tischen findet man häufig Krümel, schmutzige Tassen, die keinem gehören, zerfledderte Zeitungen von vorgestern … Heute jedoch ist aufgeräumt, was das Ganze aber auch nicht gemütlicher macht.

Mein Kollege hat gerade mal wieder jemanden bei uns im Zimmer. Ich kann also weder telefonieren, noch den Computer benutzen, um das niederzuschreiben, was ich heute morgen gemacht habe. Manchmal ist es wirklich traurig, zwei Arbeitsplätze und eine Schreibmaschine. Früher hatten wir jeder eine mechanische und es klapperte ständig irgendwo im Haus mit dem typisch harten Anschlag. Die mechanische steht zwar noch irgendwo auf dem Schrank, aber eigentlich sind die Zeit wohl doch vorbei.

Manchmal hört man im Flur so etwas wie „Was machst du denn hier in meinem Zimmer?“ … „Na, meins ist besetzt, das ist „X“. Und der ist bei mir, weil bei ihm der „Y“ist und der ist da, weil „Z“ eine Vernehmung hat und sein Zimmer auch nicht frei ist.“

Ich gehe also doch in mein Zimmer, entschuldige mich bei dem Bürger und erkläre ihm, dass ich hier auch arbeite. Ich gucke in meine Akten und finde noch etwas, wo ich weder telefonieren noch Computer schreiben muss … Ein Gutachten, sieh mal an… mit einem Aktenzeichen aus 1994.
Ist schon schön, so ein Gutachten. Darin ist meine Frage nach drei (!) Jahren beantwortet worden, ob nach dem Ausschlachten eines vorher aus einem Autohaus gestohlenen Neuwagens festgestellt werden konnte, dass ein Nachschlüsse/gefertigt worden sein muss. Die Antwort lautet: ja. Das bedeutet, dass ich heute feststellen müsste, wer vor drei Jahren Zugriff zu den Autoschlüsseln in dem Autohaus hatte. Ich schicke dieses Gutachten dem eigentlichen Ermittlungsvorgang hinterher. Mal sehen, ob ich das wiederkriege, um den Täter einzukreisen.

In dem Zimmer mit der Vernehmung ist mir das nun doch zu blöd. Ich besuche meine „VerTraute“ und klaue mir bei ihr ein Bonbon. Sie hat immer welche. Wir verstricken uns wieder kurz in ein Gespräch über Männer , unser Lieblingsthema, werden aber schnell wieder rausgerissen, weil unser „kleiner Chef“ eine Nase dafür zu haben scheint und immer dann gerade hereinschneit. Das ist auch nicht weiter schlimm. Ein paar private Worte sind ja wohl nicht verboten.

Treffen sich zwei Beamte auf dem Flur ….. Na, konntest du auch nicht schlafen ?“

Kurz vor 16 Uhr schleppt jemand einen Jugendlichen an, der eigentlich etwas weiter weg in einem Heim sein sollte, aber doch wieder bei uns im Ort herum lief. Praktisch, von ihm wollten wir doch noch was. Während einige versuchen, ihn an einen Verantwortlichen wieder loszuwerden, was wcht ganz einfach ist, weil man die ganze Zeit auf sie aufpassen muss, ohne sie einsperren zu dürfen, suche ich die Akte. Es ist eine Fahrt mit dem Taxi. Der junge Mann hat nicht bezahlt. Wir wussten gleich, wer das sein müsste. Die Taxifahrerin erkannte ihn auf Fotos aber nicht wieder.
Eine Musikkassette „Reichssturm“ blieb im Taxi zurück. Ich erkläre dem gut bekannten Jugendlichen, dass wir schon wieder eine Anzeige vorliegen haben wegen einer nicht bezahlten Taxifahrt von X nach XV. Er sagt: ja.
Ich erkläre ihm, dass er ja weiss, dass er als Beschuldigter nicht auszusagen braucht. Er fragt, woher wir wissen, das er das war. Ich sage, wir haben Bilder … Er sagt, ach das war das Ding da vorn im Taxi… Ich sage, wir haben doch Fotos von dir gemacht, weißt du das nicht mehr? Er sagt, ach so, die „Reichssturm“, kann ich die wiederhaben …. Und ansonsten will er gehen, als „freier Bürger in einem freien Land“, wie er meint, mit 16. Recht hat er. Nach einer Stunde und qualvollen Gesprächen mit dem Jugendamt holt Papi ihn ab. Es ist nicht so einfach mit Jugendlichen zwischen 14 und 18. Die Eltern haben alle Rechte, aber keine Handhabe. Auch Jugendämter und Polizei sind hilflos.

So, Feierabend, ab ins Auto und weg. Ich fahre noch schnell beim Markt vorbei, da gibt’s Büroartikel im Sonderangebot. Ich treffe dort noch einen anderen Kollegen, der sich auch gerade eindeckt. Die Bettelei nach Briefumschlägen, längs, mit Fenster oder braun, DIN-A-4, ist aber auch einfach zu blöd. Glücklich bezahlen wir unsere Errungenschaften, Briefumschläge, Zettelblocks, Klebezettel, Plastikhüllen, Ordner…

Wenn nicht in allen teilen der Polizei noch ein gewisser Idealismus übrig wäre, wäre
längst alles zusammengebrochen.
So oder ähnlich verlaufen die meisten Tage einer ganz normalen Kriminalbeamtin.

Januar 1998

 

Hundertschaftseinsatz

Es ist so wunderschön, dabei zu sein. Alle freuen sich. Mein Kollege durfte seine Frau zu Hause lassen, beim Kindergeburtstag. Der andere hatte, so wie ich, am vergangenen Wochenende bereits ebenfalls Samstag und Sonntag gearbeitet. Auch er freut sich sehr. Ich denke mal, so wird es allen anderen auch gehen. Besonders schön ist es, diesen ÜberraschungsausfJug am Freitagnachmittag für den nächsten Tag geschenkt zu bekommen.

Nun sind wir da, in Emden, direkt am Wasserturm. Ein Auto nach dem anderen fährt auf den Hof. Der Hof hat ein automatisches Rolltor mit einer gelb blinkenden leuchte. Es staut sich. Die grün-weißen Autos passen nicht alle gleichzeitig hinein. Auch ein Rolltor hat seine Stress-Grenze. Ich sehe, wie es langsam zu geht und an der Tür eines Streifenwagens hängen bleibt … Klack“ macht es. Langsam und vorsichtig geht das Fenster der Beifahrertür auf und ein Kollege beugt sich grinsend heraus. Er ist gefangen. Es dauert bestimmt fünf Minuten bis es weitergeht. So ein Rolltor kann ziemlich stur sein. Es will einfach nicht wieder zurück. Alles freut sich. Erst eine kräftige beherzte Hand kann dieses störrische Tor wieder an seine Ausgangsposition bewegen.

Es ist soweit. Wir sind auch auf dem Hof. Es wird hin und her rangiert und vor und zurück rangiert Endlich haben alle ihren Platz eingenommen. Der Hof bildet aus Mauern und Wänden eine Burg es kehrt Ruhe ein. In den Fahrzeugen sieht man hinter beschlagenen Scheiben überall sich ab und zu bewegende Köpfe. Es dämmert. Das Flutlicht auf dem Hof ist angegangen. Ein Aufenthaltsraum wurde zur Verfügung gestellt. Er scheint nicht grof! zu sein. Man kann von außen erkennen, in den hell erleuchteten Scheiben ohne Gardinen, dass die Kollegen dort auch nichts Aufregendes vorfinden. Das ist die verlangte volle Hingabe an den Beruf.

Mir genau gegenüber stehen zwei wunderschöne vergitterte grün-weiße Busse. Der eine davon gehört zu unserer Dienststelle, der andere nicht.lch versuche mir zu merken, hinter welchen de~ vielen grün-weisen Autos ich denn immer hinterher fahren muss. Unser Bus ist daran zu erkennen, dass er im Gegensatz zu den anderen, statt einem weißen Dach ein moosgrünes besitzt. Nur am Rand ist das ursprünglich wohl ebenfalls weiße Dach etwas heller als der Rest. Kleine Vierecke sind frei geschabt. Offensichtlich hat hier einer de Wagenpfleger die Grundfarbe testen wollen. Auch die Stoßstange rostet so langsam vor sich hin. Man munkelt, dass Preise ausgesetzt sein sollen als Belohnung für denjenigen, der diesen Bus endlich irgendwie kaputt kriegt.

„Es werden keine Gefangenen gemacht. Diese Scheiß-Skins machen unser Wochenende kaputt. Die sollen man kommen. Die kommen uns genau richtig. Denen werden wir das schon zeigen“.

Wenig später macht sich mein Kollege lang auf der Dreiersitzbank. Für kurze Zeit ist ein kleines lebendiges Schnarchen hörbar … zwei kleine Schnarcher, einmal Luftschnappen, dann ist wieder Ruhe. In dem grünen Bus, genau neben uns, sehe ich einen kleinen Fernseher, so ein Mini-Ding mit einem schlechten Bild. Vor der Glotze sitzen drei Kollegen, einer davon schläft, wie zu Hause, vorm Fernseher. Losgefahren sind wir um 14.30 Uhr, inzwischen ist es 21 Uhr.

Ich für meinen Teil sitze hier, warm und trocken. Unser neuer VW-Bus ist gut ausgestattet mit einer Standheizung. Die ist sogar durch eine Extra-Zusatzbatterie selbst versorgt. Inzwischen habe ich meine beiden Hefte endlich durchgelesen, manche Berichte bereits zum zweiten oder dritten Mal. Ich stelle fest, diesmal habe ich zu wenig zu Lesen mitgenommen. Also sitze ich ohne weiteren Lesestoff allein im Bus, die Füße nach oben, auf dem·Sofa“ und versuche genießen zu dürfen, an nichts denken zu müssen.

 

eines des Huntertschaftsautos mit einem sehr schönen Werbespruch
eines des Huntertschaftsautos mit einem sehr schönen Werbespruch

.. Ich denke aber ! .. denn ich sehe meine Beine, in den grünen Hosen, unten mit
Gummizug. Unter dem Gummizug sind meine übereinander gelegten Füße, bekleidet mit schwarzen festen Einsatzschuhen. Im Licht der großen Lampe, die den Hof hier  beleuchtet, sind meine Beine zeichnerisch sehr schön. Der Faltenwurf zeigt starke Kontraste. Dort, wo das Licht her scheint, ist die Hose voll beleuchtet. In dem anderen Bereich, hinter den Falten, ist es richtig dunkel. Das sieht sehr schön und plastisch aus und mir fällt ein, dass ich eigentlich schon mal gezeichnet habe und dies vielleicht ein sehr
lohnenswertes Objekt wäre. Es ist nur so, dass ich weder Papier noch Bleistift habe. Und außerdem, glaube ich, habe ich auch gar keine Lust.Um die Langeweile zu durchbrechen, habe ich bereits die Hälfte meiner Brote aufgegessen. Und auch der Kaffee ist weniger geworden. Soviel, wie man bei solchen Einsätzen isst, würde man sonst gar nicht zu sich nehmen, wenn etwas los wäre. Ich glaube, das wird wieder einmal sauer verdientes Geld sein!

Unruhe ist spürbar, in die Autos kommt Leben. Einer macht die Tür auf „Los geht‘ s, Ende, ab nach Hause“.

Es ist 22.30 Uhr und wir sehen zu, dass wir Streifenwagen um Streifenwagen überholen können.

Nov. 1998

Annerose R. Windeler, geb. am 8.6.54 in Hildesheim,
27243 Hölingen in der Wildeshauser Geest
Kriminalbeamtin seit 1978, seit 1983 in Wildeshausen

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