Begegnungen mit der Pferdemarktkaserne

20.11.2014 | Kategorien: PoliZeitGeschichten
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Weibliche Polizei an der Pferdemarktkaserne Nachkriegszeit

Autor: Manfred Rautenberg

Geschichte hat immer etwas mit persönlichem Erleben zu tun, sei es, ich erlebe es als Zeitzeuge, sei es, dass ich Geschichten aus alter Zeit an einem Kaffeetisch erzählt bekomme oder auch in Archiven forsche. Ich merke es oft nicht, aber Geschichte berührt immer. So ist auch meine persönliche Erfahrung, die ich hier in Bezug auf ein Gebäude erzählen möchte.

Als junger Polizeioberwachtmeister, Anfang 20, stand für mich Ende 1978 der Ausbildungsabschnitt “Praktikum Einzeldienst“ an und ich freute mich, dem Dienst in der Kaserne der Bereitschaftspolizei in Bloherfelde zu entkommen. Das 1. Polizeirevier am Oldenburger Pferdemarkt war meine Ausbildungsstelle, wohnen konnte ich zunächst noch in der Unterkunft.

Bislang kannte ich das große alte Gebäude am Pferdemarkt nur vom Vorbeifahren, aber im Laufe der Zeit sollte ich dem Gebäude und der Polizei näherkommen.

Die Wache war in einem kleinen Anbau an der Durchfahrt untergebracht, der wohl ursprünglich nur als Unterkunft der Torwache gedient hatte, aber damals die Diensträume des Streifendienstes, genannt SOV-Dienst ( Sicherheit, Ordnung und Verkehr), beherbergte. Die Wache des 1. Polizeireviers der Stadt Oldenburg bestand aus einem kleinen Wachraum mit einem Tresen, hinter dem der Wachhabende, meist ein älterer Hauptmeister oder der Schichtführer, ein Kommissar, saß. Daneben ein kleiner Funkraum, wo auch ein Waffenschrank, ein Schlüsselkasten und eine kleine Schreibmaschine mit der eingespannten “ Morgenmeldung“ stand. Im Wachraum selber mussten noch zwei Schränke mit alten Unterlagen und ein Schreibtisch mit einem Schreibmaschinentisch unterkommen. An dieser Schreibmaschine habe ich einen Tag später meine erste Strafanzeige wegen Fahrraddiebstahls aufgenommen. Es sollten noch viele weitere folgen.

Versteckt hinter den Schränken ging eine schmale, steile Holztreppe nach oben, wo in einem Durchgangszimmer ein Formularschrank und eine Schreibmaschine standen. Von dort kam man in den Aufenthaltsraum, der wieder mit einer Schreibmaschine, einem Tisch und Stühlen ausgestattet war. Ein kleiner Fernseher mit dem Schild „Gespendet von der Gewerkschaft der Polizei Oldenburg“ stand dort. Dazu noch ein kleiner Abstellraum mit Foto- und Verkehrsgerät. Das war derArbeitsbereich des Streifendienstes.

Auf der anderen Seite des Flures kamen noch ein Paar Räume mit der Leitung und dem Geschäftszimmer hinzu, der Ermittlungsdienst hatte seine Büros in der Georgstraße. Im Keller fanden sich die Toiletten, Umkleideräume und die Zellen, in denen graue Decken lagen mit der Aufschrift „OrPo Oldenburg“. Die oberen Etagen des Gebäudes wurden durch die Kriminalpolizei und den Kommandeur der Schutzpolizei genutzt.

Das Haus war alt und hatte offensichtlich schon viel erlebt. Die Treppenstufen waren durch unzählige Fußtritte durchgelaufen, eine altehrwürdige, schwere Holztür gewährte Eintritt in das Dienstgebäude. Der Zustand war offensichtlich nicht mehr der Beste, denn unter den Tritten der Beamten brach auch schon mal die Holztreppe von der Wache nach oben zusammen, im Keller rieselte der Putz von der Wand und aufgerissene Farbrest hingen teilweise noch darüber.

Auch wenn sich der Gesamtzustand doch stark renovierungsbedürftig zeigte, so strahlte das Gebäude doch eine innere Solidität aus. Auch fühlte ich mich dort sehr wohl, denn ich war in einer Schicht gelandet, die gut zusammenpasste und ich denke noch heute gern an die Zeit zurück. Nach dem Praktikum wurde ich zu dem Revier fest versetzt und lernte auch die Kollegen immer besser kennen. Auffällig war, dass dort noch einige ältere Kollegen Dienst machten, die den 2. Weltkrieg aktiv miterlebt hatten. Ein Umstand, dessen Tragweite ich damals noch nicht erkennen konnte.

Nur um zwei Beispiele für diese Kollegen zu nennen. Der Leiter Außendienst war als junger Soldat Jagdflieger gewesen und der Mitarbeiter Technik als Marinesoldat in den letzten Kriegstagen noch mit einem U-Boot in einem Ostseehafen untergegangen.

Das Haus und die Menschen dort hatten Geschichte. Diese Geschichte wurde noch einmal besonders lebendig, als ich eines Tages im Abstellraum der Wache einen Stapel Wehrmachtskarabiner entdeckte, die dort schon mal für Filmaufnahmen deponiert worden waren, die ein paar Tage später dort stattfinden sollten. Die Einfahrt zum Dienstgebäude wurde an dem Tag zum Filmset für einen historischen Film, der in der Kriegszeit spielte. Die Dienststellenschilder waren mit alten Schildern überdeckt, Kübelwagen und Wehrmachtkräder fuhren ein und aus und die Kleidermode der Passanten stammte aus den 40er Jahren. Vor dem Eingang der Wache stand ein Wehrmachtssoldat auf Posten mit dem Karabiner über der Schulter und im Hintergrund lief unser normaler Dienstbetrieb ab.

Schmunzeln musste ich über die Szene, die sich dabei ereignete. Eine alte Dame, der das alles sehr vertraut vorkommen musste, hatte auf der Wache zu tun gehabt, wollte wieder weggehen und traf auf den Posten. Verunsichert holte sie ihren Personalausweis, zeigte ihn dem Wehrmachtsposten vor und konnte ungehindert passieren. Die Kameras waren ihr wohl nicht aufgefallen. Alles wie früher!

Im Rahmen der Ausbildung zum gehobenen Dienst verließ ich das Haus und kam nur noch 1982 zur Beförderung zum Kommissar wieder, damals von dem Kommandeur der Schutzpolizei, dem Leitenden Direktor Schnupp,vorgenommen. Der konnte sich als „Beamtenrechtspapst“ dabei nicht die Bemerkung verkneifen „Das können wir aber besser!“ und spielte damit auf meine mündliche Prüfung an, die er im Staats-und Verfassungsrecht abgenommen hatte.

Unsere Wege, mein Weg und der des Hauses, trennten sich. Die Polizei baute am Friedhofsweg ein neues Gebäude und wenn ich dort zu tun hatte, fuhr ich an dem alten Gebäude nur vorbei.

Dreißig Jahre später….

Das Thema Polizeigeschichte ist zu mir gekommen. Im Rahmen des Aufbaus einer dienstlichen Internetseite, kam der Gedanke auf, dass dazu auch die eigene Organisationsgeschichte gehört und das Thema hatte mich seitdem nicht wieder verlassen.
Ich war bei den Recherchen im Internet über den Namen Dr. Lankenau gestolpert. Er war als Polizeibeamter auch ein Bewohner des Hauses am Pferdemarkt gewesen, nur lange Jahre vor mir. Er war studierter Historiker und hatte in den 20er Jahren Bücher über die alte Oldenburger Polizeigeschichte geschrieben, die ich gerne lesen wollte.
Also besuchte ich 2012 das alte Haus am Pferdemarkt wieder, in dem mittlerweile  die Oldenburger Landesbibliothek untergebracht ist. Neugierig betrat ich durch das neue Eingangsportal das Gebäude. Es war entkernt und hochwertig renoviert worden, man konnte aber deutlich spüren wie vorsichtig die Architekten mit dem denkmalgeschützten Gemäuer umgegangen waren. Teilweise waren noch die alten Türen erhalten geblieben und liebevoll restauriert worden.
Nach dem ich die gesuchten Bücher bekommen hatte, verließ ich das Gebäude durch den Hintereingang und schwelgte noch ein wenig in meinen Erinnerungen, denn das Gebäude verströmte wie damals Geschichte.

Im Hof sah ich mich um und es war nicht mehr der triste Parkplatz, sondern war jetzt begrünt und neu gepflastert. Die Garagen waren abgerissen worden. Ruhig und friedlich lag der Parkplatz da und ich schlenderte mit meiner Frau noch zu dem alten Wachbau und warf noch einen Blick hinein. Jetzt war dort eine Werkstatt der Bibliothek und es erinnerte nichts mehr an die alte Nutzung.

Im Weggehen fiel mein Blick auf eine Sandsteinplatte, die in die Außenwand der Wache eingelassen worden war. Betroffen las ich die Inschrift:

Mahntafel des Alten Polizeiamts Oldenburg
Mahntafel des Alten Polizeiamts Oldenburg

Als Folge dieser Begegnung mit dem Gedenkstein suchte ich nach weiteren Hinweisen auf die Geschichte des Hauses. Das Dienstgebäude war ursprünglich eine Militärkaserne und nach einem Brand in der heutigen Form neu gebaut worden. Anfang der 20er Jahre übernahm das Gebäude die neu gegründete Oldenburger Sicherheitspolizei, die Vorläufer der Oldenburger Ordnungspolizei war.

Am 26.5.2012 begegnete ich meinem damaligen Arbeitsplatz im kleinen Postenhaus der Pferdemarktkaserne wieder, diesmal in einem Zeitungsartikel der Nordwest-Zeitung, in dem über eine Wahlkampfveranstaltung vom 10.5.1931 vor dem Dienstgebäude berichtet wurde.

Zeitungsartikel der Nordwest-Zeitung, in dem über eine Wahlkampfveranstaltung vom 10.5.1931 vor dem Dienstgebäude berichtet wurde

Auf dem dazugehörigen Foto sah man Adolf Hitler und Carl Röver auf einer Tribüne reden. Im Hintergrund ist das Postenhaus zu erkennen und Personen schauen aus einem Eckfenster auf die Veranstaltung. Die Personen waren nicht zu erkennen, aber das Zimmer kam mir bekannt vor- das Zimmer meines damaligen Revierleiters.
Die zu dem Gedenkstein dazugehörigen Menschen fand ich ein Jahr später auf einem Foto, dass in einem Beitrag der Oldenburger Onlinezeitung vom 9.11.2013 zu finden war. Betroffen machte mich nicht nur die Tatsache, dass es diesen Massenmord gegeben hatte, sondern auch der Umstand, dass er mit meinem damaligen Arbeitsplatz zu tun hatte und es drei Jahrzehnte gebraucht hatte, mir dies bewußt zu machen.
Eine weitere Facette diese Gebäudes fand sich zufällig auf der Website des niedersächsichen Innenministeriums. In einem kleinen geschichtlichen Beitrag zur Polizeigeschichte fand sich dort ein Foto, dass weibliche Schutzpolizei in Oldenburg im Dienste der Besatzungstruppen zeigte. Es war zuerst nicht klar, wo genau das Foto entstanden war, aber der Ort kam mir bekannt vor, der Hof meiner alten Dienststelle.

Auf dem Foto sieht man zwei Frauen in Uniform mit Armbinden mit der Aufschrift „MG Police“, die zwei kleine Kinder zwischen sich haben.

Weibliche Polizei an der Pferdemarktkaserne Nachkriegszeit
Pferdemarktkaserne Nachkriegszeit
 Pferdemarktkaserne heute - gleicher Blickwinkel

Pferdemarktkaserne heute – gleicher Blickwinkel
Heute: Landesbibliothek Oldenburg
Heute: Landesbibliothek Oldenburg

Dies waren einige kleine Begegnungen mit diesem wichtigen Haus auf meinen ganz persönlichen Weg bei der Polizei.
Die niedersächsische Polizei als staatliche Institution hat angefangen sich ihrer Vergangenheit zu stellen und auch die dunklen Phasen ihrer Geschichte als Teil der eigenen Organisationsgeschichte anzunehmen. Sie hat mittlerweile ein eigenes Polizeimuseum mit hauptamtlichen Mitarbeitern, Beiträge auf den Internetseiten und auch die Wanderausstellung „Ordnung und Vernichtung – Die Polizei im NS-Staat“, die sich damit befasst.

Warum schreibe ich das?

Dies Haus mit seiner Geschichte ist mir begegnet und hat mich berührt. Wenn ich heute an ihm vorbeifahre, erinnere ich mich an diese Geschichten!

PHK Manfred Rautenberg

Polizeistation Ganderkesee

26.02.2014

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