Ein Zeitzeuge erzählt: PHK a.D. Heinrich Schmalriede

28.08.2018 | Kategorien: PoliZeitGeschichten
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Heinrich Schmalriede 2018 (c) Manfred Rautenberg

Manfred Rautenberg führte das Gespräch mit Heinrich Schmalriede am 20. August 2018 in Delmenhorst.

Im Frühsommer 2018 hatte meine Ehefrau zufällig Kontakt zu Herrn Schmalriede, was zu der Projektidee und eine Reihe von nachmittäglichen Besuchen, bei Kaffee und Kuchen führte, bei denen der folgende Interviewtext entstand. Nach und nach kamen alte Geschichten wieder in Erinnerung und mündeten in diesem Interviewtext.

„Wo soll ich anfangen? Am besten am Anfang. Ich bin Jahrgang 1922 und somit heute 96 Jahre. Seit einiger Zeit bin ich Witwer.

Die frühen Jahre

Geboren bin ich in Oldenburg und die ersten Jahre aufgewachsen auf dem elterlichen Bauernhof in  Friedrichsfehn. Mein Vater kam mit einem Kriegsleiden aus dem ersten Weltkrieg zurück, wo er in Frankreich gekämpft hatte, und starb deswegen verfrüht im März 1923. Ich habe ihn nicht bewusst kennengelernt. Meine Mutter heiratete einige Jahre später noch einmal. Bis zum Alter von 10 Jahren besuchte ich in Friedrichsfehn die zweiklassige Dorfschule.

1933 zog meine Familie um, nach Oldenburg- Bürgerfelde, wo ich die Bürgerfelder Schule besuchte. Das war eine achtklassige Volksschule, wir nannten sie „Holschen-Gymnasium“, weil früher dort die Kinder manchmal mit Holzschuhen zum Unterricht kamen.

Mein Stiefvater, er hatte am 1.Weltkrieg als Kavallerist der 19. Dragoner in Frankreich teilgenommen, zeigte mir Bilder von zerschossenen Stellungen und Pferden und warnte: „Wenn die an die Macht kommen, geht das wieder los“. Meine Eltern wollten nicht, dass ich zur HJ (Hitlerjugend) ging, aber alle meine Schulfreunde waren auch da; und mein Opa, der als Vormund eingesetzt war, billigte es, damit ich nicht ausgeschlossen würde. Zuerst als „Pimpf“ und ab 1937 in der Motor- HJ. Wir haben viel unternommen, ich erinnere mich an Zeltlager in Wildeshausen und auf Wangerooge. In der Alexanderheide haben wir viele Geländespiele gemacht, später erst wurde dort der Flugplatz gebaut. Die Dienststelle der HJ war in einer Baracke am Pferdemarkt untergebracht und verfügte über Kleinkrafträder. Mit diesen Kleinkrafträdern haben wir auf dem Truppenübungsplatz in Bümmerstede geübt. Die Kräder wurden von den älteren hingefahren, die jungen sind dorthin marschiert. In der Motor- HJ machte ich meinen ersten Führerschein, die Klasse 4. In dem Alter konnte ich das noch nicht erkennen, aber aus der heutigen Sicht ist klar, das dies eigentlich eine vormilitärische Ausbildung gewesen ist.

Für eine weiterführende Schule reichte das Einkommen meiner Eltern nicht, zumal wir sechs Kinder waren. Meine Mutter bekam damals, in der Nazi-Zeit, das Mutterehrenkreuz.

Einmal haben wir von der HJ aus einen Ausflug gemacht, der ging zur Gedenkstätte der Schlacht von Altenesch in Bookholzberg, Stedingsehre. Dort wurde anlässlich der 700-Jahr-Feier ein Theaterstück uraufgeführt, die Schlacht der Stedinger Bauern gegen die Krieger des Erzbischofs von Bremen. Die Schlacht soll 1234 in Altenesch unter dem Motto der Bauern „Lever dot as Slav!“ stattgefunden haben. Der Aufstand richtete sich gegen übermäßige Abgaben, die der Bischof verlangte. Während der, für uns ganz interessanten, Aufführung war zu erkennen, dass die Bauern unterlegen waren. Sie mussten sich gegen die kriegerischen, mit Spießen ausgerüsteten Reiter, mit landwirtschaftlichen Geräten wie z.B. Sensen, Dreschflegel, Forken und Knüppel, verteidigen.

Bei der Firma Schomburg und Co., Am Stau, absolvierte ich eine dreijährige Lehre als Betriebsschlosser, die ich 1940 abschloss. Meine erste Arbeitsstelle waren die Flugmotorenwerke in Neuenwege bei Varel. Wir überholten dort Stern- und Reihenmotoren von Flugzeugen der damaligen Luftwaffe, z.B. für die JU 52 und JaBos. Die Beschäftigten waren gemischt, hauptsächlich Deutsche, aber auch Holländer und Polen.

Militärzeit

Viele waren schon eingezogen worden und meine Musterung stand bevor. Ich hatte die Marine in die engere Wahl gezogen und dachte, dass es besser wäre, sich freiwillig zu melden, als eingezogen zu werden. Da mein Opa mir zur Marine riet: “Da gev god to eten un de best Uniform!“ meldete ich mich dafür. Nach der Musterung am Pferdemarkt kam auch kurz darauf, April oder Mai 1941, der Stellungsbefehl zur Ausbildung bei der 13. Schiffsstammabteilung in Saßnitz auf Rügen. Dort gab es die erste infanteristische Ausbildung. Die haben uns hart rangenommen..

Ich hatte mich auf 12 Jahre verpflichtet und wollte was von der Welt sehen. Damals sind wir nicht weit gekommen, nicht wie die jungen Leute heute.

Während des Lehrganges wurden wir alle ungefragt auf U-Boot-Tauglichkeit untersucht. Die Untersuchung fand in einer Klinik in Stralsund statt. Dabei ging es hauptsächlich um die Gesundheit der Atemwege. Ich wurde für tauglich befunden. Diese Verwendung entsprach nicht meinen Wünschen, denn eigentlich wollte ich über Wasser fahren. Nach der allgemeinen Infanterieausbildung ging es zur Torpedoschule nach Flensburg- Mürwik und zum Tauchlehrgang nach Pillau. Dort lag das KdF.-Schiff „Robert Ley“, das eine eingebaute Tauchstation hatte. Wir lernten aus einem gesunkenen U-Boot mit dem Tauchretter auszusteigen, was bis zu einer gewissen Tiefe möglich war.

U11 beim Auftauchen 1942
U11 beim Auftauchen 1942

Nach der Zuteilung zur Personalreserve Holstein kam ich auf das erste U-Boot, die U-11, ein altes Boot von 250 Tonnen und mit 25 Mann Besatzung, das nicht mehr für den Fronteinsatz vorgesehen war. Mit dem Boot fuhren wir als Versuchsboot in der Ostsee, nach Dänemark und hoch nach Norwegen, wo ich bis Sommer 1943 als Torpedomechaniker an Bord blieb. Nach dem Unteroffiziers (Maat)-Lehrgang wurde ich Ausbilder an einer Schule in Flensburg und Regenwalde/ Hinterpommern.

Im Spätsommer 1944 wurde ich auf die U-1052, einem 500 Tonnen- Schiff, abkommandiert, zu einer U-Bootflotille nach Bergen in Norwegen. Das Boot hatte keinen Schnorchel und war deswegen nicht atlantiktüchtig. Man sah und hörte die gegnerischen Flugzeuge, die über den Wolken flogen, bei laufendem Diesel nicht. Auch waren diese mit Radar ausgerüstet und konnten uns einpeilen. Die Gefahr der Bombardierung und Versenkung war zu groß.

Bei einer dieser Fahrten habe ich mal den größten Schrecken bekommen, den ich jemals erlebt habe. Wir kamen in Überwasserfahrt von See und waren schon im Fjord, der zum U-Bootstützpunkt in Bergen führte. Die Besatzung war unter Deck, nur die Brückenwache war mit vier Mann oben. Plötzlich gab es Alarm, englische Jagdbomber waren im Anflug. In cirka 30 Sekunden waren wir wie üblich auf der Sehrohrtiefe von 13 Metern und tauchten noch tiefer, es ging steil nach unten. Ich meine, es waren 150 Meter und mehr. Da sind wir mit dem Bug auf einen Felsen gestoßen, was einen großen Knall verursachte, aber zum Glück wurde niemand verletzt. Der LI brachte das Boot wieder in die richtige Lage, damit wir schnell wieder auftauchen konnten. Über dem Druckkörper war eine stromlinienförmige Verkleidung, die total demoliert war. Der Druckkörper selber war heil geblieben. Notdürftig wurden die kaputten Teile mit einem Schneidbrenner abgeschnitten, damit wir wieder einsatzklar waren.

Das hätte auch anders ausgehen können!

Im April 1945 erfolgte meine Abkommandierung nach Hamburg, dort sollte ich in ein neues Boot einsteigen, die U-2543, einem Boot von 1600 Tonen. Mit dem Marschbefehl war ich eine Woche bis Hamburg unterwegs und das Boot war schon in Richtung Kiel ausgelaufen, als ich eintraf. Auf der Weiterfahrt nach Kiel gab es ständig Fliegeralarm.

In Kiel-Wik stand ich am Pier und das Boot kam gerade von einer Testfahrt aus der Ostsee zurück, der Kommandant stand auf der Brücke und rief:

„Schmalriede, nehmen Sie mal die Leinen wahr!“

Es war mein alter Kommandant von der U-11.

„Ich habe Sie angefordert, über den BdU!“

Nach 14 Tagen war das Boot einsatzklar und sollte auslaufen. Gerüchte sprachen vom  Ziel der Blockade der Ostküste Amerikas. Aber es kam nicht mehr dazu. Mangel an Diesel und Torpedos verhinderten das Auslaufen. Im Hafen lagen noch eine große Zahl weiterer U-Boote in Päckchen, alles Neubauten.

Ein Schwesterboot, die U-2540, liegt heute im Museumshafen in Bremerhaven. Ich habe es mal mit meinen Enkeln und meinem Schwiegersohn besucht. Einer fragte damals erstaunt: „Opa, da warst Du drin?“

Als die Front immer näher rückte wurden die Bootsbesatzungen und Komandanten abkommandiert. Gerüchten nach sollten sie zur Sprengung des russischen Ringes um Berlin verwendet werden. Nur 5 Mann blieben als Pflege-und Sprengkommando jeweils an Bord.  Dazu gehörte ich. Als die englischen Streitkräfte kurz vor Kiel standen,  war es soweit. Der Befehl „Boote sprengen!“ kam und Sprengladungen mit Zeitzünder wurden an empfindlichen Rohrstellen angebracht. Nach der Sprengung gingen die Boote langsam unter.

Bis September 1945 waren wir in der Kaserne in Kiel-Wik interniert und wurden danach von den Engländern zunächst in ein Entlassungslager in Heide/Holstein überführt. Dort gab es nicht ausreichend zu essen und einmal sind wir nachts an den Wachen vorbei, unter dem Zaun hindurch auf ein Feld und haben Kartoffeln geklaut. Die haben wir dann im Zelt in einer Mulde im Boden im Feuer gekocht, um nicht gesehen zu werden. Den Tipp mit dem Feuer hatte ein Landser, das ist ein Infanterist. Mir als U-Bootfahrer wäre das nie eingefallen.

Von dort sind wir dann nach Oldenburg entlassen worden. Über die Autobahn von Hamburg nach Bremen ging es mit Trucks, einmal haben wir auch übernachtet. Auf einem Sonntag sind wird in Oldenburg auf dem Pferdemarkt angekommen und sollten uns danach am Dienstag beim Arbeitsamt melden. Als ich zuhause eintraf, waren Mutter und die Familie überrascht, das Mittagessen war fertig.

Meinem Bruder ist es nicht so gut ergangen. Er war noch mit 17 eingezogen worden und  bei der Verteidigung des Ruhrkessels eingesetzt worden. Er kam halb verhungert aus amerikanischer Gefangenschaft zurück.

Meine erste Arbeit war bei der Schnapsbrennerei Hullmann in Etzhorn, die von den Engländern besetzt war. Wir mussten dort mit ehemaligen Bunkerplatten eine Straße bauen.

Zurückblickend kann ich sagen:

„Ich habe keine große Not gelitten. Viele U-Boot-Kameraden sind nicht aus dem Einsatz zurückgekommen!“

Bei der Polizei

In den Oldenburger Nachrichten stand:

„Die Polizei des Landes Oldenburg soll neu aufgebaut werden. Man sucht junge Leute und soll sich am Pferdemarkt melden.“

Oldenburg war damals noch selbstständig, Niedersachsen wurde erst später gegründet. Ich war 23 Jahre alt. Die Untersuchung auf Polizeitauglichkeit fand im PFL- Hospital statt und am 1.10.1945 war Antreten in der Polizeikaserne am Pferdemarkt. Wir waren kaserniert untergebracht und mussten dort bleiben. Überwiegend waren ehemalige Wehrmachtsangehörige eingestellt worden. Die Lehrer waren alte Polizisten, die schon vor dem Krieg bei der Polizei gewesen waren. Einige von Ihnen wurden entlassen, weil sie im Osten Dienst getan hatten. Einmal in der Woche hatten wir auf Veranlassung des englischen Polizeioffiziers Reitunterricht in einer Halle an der Brüderstraße. Ihm schwebte wohl eine künftige Reiterstaffel vor, was sich aber nicht weiterentwickelte. Nach der Grundausbildung wurden wir vom Polizeianwärter zum Polizeiwachtmeister befördert. Ich wollte eine Verwendung in Oldenburg, aber das ging nicht, weil Verheiratete vorgezogen wurden. Also wurde es Delmenhorst. Als meine Mutter das hörte, sagte sie:

“ Junge! Junge! Du willst nach Delmenhorst? Da hört man nicht viel Gutes.“

Ich entgegnete ihr:

„Ich bin 4 Jahre im Krieg gewesen. Ich werde dort auch zurecht kommen“

Und ich habe später dort auch überwiegend gute Erfahrungen gemacht.

Mit dem gut gefüllten Zug kam ich mit zwei Kollegen in Delmenhorst an. Man merkte, es war eine Arbeiterstadt und keine Beamtenstadt. Bevor wir uns beim Revier meldeten, gingen wir in einer Gaststätte Bahnhofstraße, Ecke Westergang, Essen. Als der Wirt hörte, dass wir zur Polizei wollten, war er sehr froh und wollte keine Lebensmittelkarten von uns.

Im Revier war unten die Wache und oben die Gendarmerie bzw. die Kriminalpolizei. Es gab ein paar Zimmer, in denen wir untergebracht wurden. Hier bekamen wir auch unsere erste Uniform mit der Armbinde „German Police“. Eine Waffe bekamen wir nicht, aber einen Schlagstock aus Holz. Gearbeitet wurde im 24-Stunden-Dienst mit zwei Schichten, in denen man aber auch Schlafen konnte.

Nachts haben wir öfters die kanadische MP angefordert und die nahm uns in ihrem Jeep zu Einsätzen mit. Ich erinnere mich an einen Überfall auf einen Bauernhof. Einer der MPs sprach wie ein Bayer, er hieß „Nick Overmeier“.

Später gingen wird auch Fußstreifen. Meist als Doppelstreifen. Da wir noch keine warme Winteruniform bekommen hatten, wärmten wir uns immer in den Torwachen der großen Fabriken auf, bei der Jute, der DLW und der VKS (Nordwolle).

Im April 1946 kam ich zur Polizeistation Hasbergen, wo ich auch das erste Mal eine Waffe bekam, einen englischen Karabiner. Die Dienststelle war kurz vor der Bäckerei Cebulla. In der Nähe wohnten die Polizistenfamilien Hedemann und Tedsen.

Ich war über der Bäckerei Cebulla untergebracht, zusammen mit den Bäckern und den Hausmädchen. Da es keinen Waffenschrank gab, lag der Karabiner unter dem Bett. Da kann ich heute noch darüber lachen, weil ich mal das Hausmädchen beim Durchfegen vor dem gefährlichen Ding unter meinem Bett warnen musste.

Zur Station Hasbergen gehörten damals noch Stuhr und Schönemoor und wir hatten nur Fahrräder. Auf den Weiden wurde Vieh geschlachtet und Kartoffeln und Rüben geklaut. Oft lagen wir nachts auf Wache. Aber wenn nicht zu viel geklaut wurde, war das nicht so schlimm.

Öfter mussten wir Ordnungsdienst auf dem Delmenhorster Ostgleis machen. Es kamen viele Züge mit Vertriebenen aus dem Osten, die dann mit Pferdegespannen weitertransportiert wurden. In Delmenhorst gab es damals viele Holzbaracken, wo Flüchtlinge, Hilfswillige aus Russland und andere untergebracht waren.

Nachts gab es mal einen unangekündigten Einsatz:

Mit Engländern mussten wir Baracken an der Cramerstraße umstellen, in denen Russen mit ihren Familien wohnten. Russische Militär- Lkw fuhren vor. Einige der Bewohner wollten aus den Fenstern flüchten, weil sie wohl dachten, dass sie nach Sibirien gebracht oder bestraft würden, weil sie während des Krieges hier gearbeitet hatten. Zumindest nehme ich es so an, weil sie sich laut und ängstlich geäußert haben.

In dieser Zeit wurden alle Polizeibeamten entnazifiziert. Das geschah vor einer Kommission mit drei oder vier alten Herren. Da ich nie in der Partei war, gab es keine Probleme. Lediglich ein Brief der SA hatte mich mal auf U-1052 erreicht. Sie hatten für den Eintritt in die SA geworben, da ich ja mittlerweile 18 Jahre alt gewesen war. Ich fragte meinen Kommandanten, einen Österreicher, damals um Rat und er erzählte mir, dass ihm eine ähnliche Post aus Versehen mal in Wasser gefallen sei. Dies passierte mir auch.

September 1947 kam die Abkommandierung nach Delmenhorst. Weil ich schon die Führerscheine der Klassen 1 und 3 hatte, kam ich zum VU- Kommando der Verkehrsabteilung. Der Verkehr hatte zugenommen und die Abteilung sollte vergrößert werden, später kamen Kollegen aus der Bereitschaftspolizei hinzu. Die Abteilung verfügte anfangs über ein Zündapp- Motorrad mit Beiwagen und einen Opel P4. Den P4 mussten wir öfter anschieben, weil der Anlasser defekt war und es keine Ersatzteile gab. Auch waren die Reifen schlecht und abgefahren, was man besonders im Winter merkte.

Zuständig waren wir für den Abschnitt Süd, also Oldenburg-Land, Vechta und Cloppenburg. Die Abteilung war für Verkehrsunfalle zuständig und es gab viele tödliche VU. Häufig kam der Bestatter, der alte Freuer, hinzu, damals noch mit einem Pferdegespann. Ich bin damals auch der Verkehrswacht beigetreten.

Die Abteilung wurde erst mit Einrichtung der motorisierten Verkehrspolizeistaffel (Autobahnpolizei) aufgelöst.

Verkehrsüberwachung Ende der 40er Jahre. Heinrich Schmalriede als Fahrer des Krades
Verkehrsüberwachung Ende der 40er Jahre. Heinrich Schmalriede als Fahrer des Krades

Ich kam danach in den SOV- Dienst nach Delmenhorst. SOV heißt Sicherheit, Ordnung und Verkehr. 1958 machte ich den Meister-Lehrgang und in der Zeit auch den Polizeiführerschein der Klasse 2.

Zwar war ich nicht gewerkschaftlich interessiert, wurde aber dann doch dafür geworben. Erst in der ÖTV und später in der GDP, von der ich auch eine Ehrennadel für langjährige Mitgliedschaft bekommen habe. Später bin ich, wie andere auch, ausgetreten, weil ich mit etwas unzufrieden gewesen bin.

Verkehrsüberwachung Ende der 40er Jahre. Heinrich Schmalriede am Führerhaus des Lkws. Übrigens mit der Dienstnummer 1003 auf der Brustplakette.
Verkehrsüberwachung Ende der 40er Jahre. Heinrich Schmalriede am Führerhaus des Lkws. Übrigens mit der Dienstnummer 1003 auf der Brustplakette.

Damals waren wir Respektspersonen.

„Guten Morgen, Herr Wachtmeister!“ hieß es.

Es war unmöglich, dass wir etwa mit „Bullen“ angesprochen wurden. Die alte Erziehung war noch wirksam.

1960 wurde ich zum Polizeimeister befördert. Zwei Jahre nach dem Lehrgang erst, da es keine freien Stellen gegeben hatte. Erst war ich als stellvertretender Dienstabteilungsführer tätig, nach dessen Pensionierung wurde ich DA- Führer, da war ich Polizeiobermeister und ab Juli 1968  Polizeihauptmeister.

Im Frühjahr 1960 war ich erst vertretungsweise für 8 Wochen und später dann mit weiteren Kollegen für 6 Wochen zur Inselverstärkung nach Wangerooge abgeordnet. Es war ein ruhiger Dienst mit vielen Ermittlungssachen.

1974/75 konnte ich den Kommissarslehrgang in Oldenburg besuchen. Für diesen Lehrgang musste man sich bewerben und für die Zulassung fachliche, psychologische und allgemeine Tests bestehen. Damals kamen viele Stellen des gehobenen Dienstes. Die Beförderung zum Kommissar erfolgte direkt nach dem Lehrgang. Im Lehrgang half uns unsere langjährige Erfahrung, aber die „grauen Zellen“ wurden doch sehr gefordert.

Während des Lehrganges saßen wir abends mit Kollegen beim Bier und eine Frage kam hoch:

„Was bringt uns so ein Lehrgang?“

Ein Kollege mit dem Spitznamen „Der letzte Preuße“ meinte:

„Das Geld ist unwichtig, aber die Schulterstücke, die sind viel wichtiger!“

Wir hatten damals noch die grau-blaue Uniform und die Offiziersschulterstücke der Wehrmacht. Das Denken in der Polizei  änderte sich damals. Es wurde weniger militärisch, weniger Befehl und Gehorsam, mehr Eigenverantwortung. Auch die Bewertung der Arbeit veränderte sich.

Aus dieser Zeit fällt mir die Baader-Meinhof-Bande ein. Bei den Verkehrskontrollen mußte damals immer ein Beamter mit der MP im Anschlag als Sicherungsposten stehen. Einige sagten: “Wir sind doch keine Schwerverbrecher!“, aber die meisten hatten Verständnis dafür.

Zum Glück brauchte ich meine Waffe nie einzusetzen, lediglich einmal, bei einem Verkehrsunfall, war ein Hund schwer verletzt worden und der Tierarzt meinte, dass es keinen Sinn machen würde. Ich solle ihn erlösen. Da die anderen den Hund nicht erschießen mochten und ich ja Jäger war, baten sie mich, es zu tun.

Einmal im Vormittagsdienst kam die Meldung, dass im Schlachthof ein Bulle ausgebrochen sei. Die Streife hatte schon die ersten Sicherungsmaßnahmen getroffen und als DA- Führer fuhr ich raus.

Der Bulle stand dann ruhig im Sassengraben, nicht weit von der verkehrsreichen Stedinger Straße, daneben ein Wohngebiet mit vielen Kindern. Einige Schlachter standen schon mit einem Kran in der Nähe, trauten sich aber nicht ran. Einige Wochen vorher war schon einmal ein Bulle ausgebrochen. Da hatten die Kollegen mit der MP fast ein volles Magazin Vollmantelgeschosse auf den Bullen abgeschossen. Ich ließ daraufhin einen mir bekannten Jäger über Funk heranrufen, das nannte man die Inanspruchnahme eines unbeteiligten Dritten, der brachte eine Langwaffe mit Teilmantelgeschossen mit. Der Bulle wurde mit einem gezielten Kopfschuss betäubt und die Schlachter machten den Rest mit dem Messer.

Später übernahm ich dann den Ermittlungsdienst, der für die kleine Kriminalität und Verkehrssachen zuständig war. Die Ermittlungsdienste der Schutzpolizei und der Kriminalpolizei waren damals getrennt. Da ich seit den 50ern Jäger bin ein Beispiel aus dem Bereich: Normale Wilderei fiel in die Zuständigkeit der Schutzpolizei; waren Schusswaffen benutzt worden, war mein Kollege von der Kriminalpolizei zuständig.

Im August 1982 wurde ich dann pensioniert.

Mein Dienststellenleiter, EPHK Lohmann, übergibt mir meine Pensionierungsurkunde. Das Foto mit einem kurzen Lebenslauf erschien damals in der Zeitung.
Mein Dienststellenleiter, EPHK Lohmann, übergibt mir meine Pensionierungsurkunde. Das Foto mit einem kurzen Lebenslauf erschien damals in der Zeitung.

„Herr Schmalriede, abschließend eine Frage. Wenn Sie heute zurückblicken, mit reichlich Abstand, wie war es bei der Polizei? „

Heinrich Schmalriede 2018 (c) Manfred Rautenberg
Heinrich Schmalriede 2018 (c) Manfred Rautenberg

„Damals, als ich mich beworben habe, da gab es wenig Arbeitsplätze. Ich habe gedacht, geh´ doch erstmal zur Polizei. Vielleicht bietet sich später etwas anderes an. Der Beruf hat mir gut gefallen und ich habe bis zur Pensionierung durchgezogen. Er ist vielseitig. Man hat mit allen Schichten zu tun. Ob Professor oder Arbeiter, man muss sich immer auf sein Gegenüber einstellen. Das war interessant.

Der allgemeine Dienst war hart, man war ständig gefordert. Man musste auf viel Privates verzichten, weil immer der Dienst im Vordergrund stand. Ich habe immer für Ausgleich gesorgt, viel Sport getrieben, hauptsächlich Schwimmen, was ich noch nach meiner Pensionierung weiter gemacht habe. Meine Frau und meine Tochter hatten glücklicherweise viel Verständnis für die dienstlichen Einschränkungen des Familienlebens.

Ich erinnere mich gerne an die Dienstzeit zurück.“

„Ich danke Ihnen für das Gespräch!“

Manfred Rautenberg

Delmenhorst am 20. August 2018

Anmerkung: Heinrich Schmalriede verstarb am 16. November 2022 im Alter von 100 Jahren.

Todesanzeige der NWZ Online

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